Ich stehe oben, zuoberst, auf einem Hügel. Da wo ich mich stets wohlfühle. Im gefallenen Schnee vermischen sich meine Spuren mit jenen des Rehs und des Fuchses. Als wir uns erspähen haben sie meine Anwesenheit bereits als Gefahr vermutet, dabei bin ich so unschuldig wie sie. Vielleicht nicht, denn ich bin ein Mann aus der Stadt, hege Gedanken und Gefühle, bin unrein, irgendwie befallen von dem emsigen Treiben da unten, welches nun so im Kontrast zu meinem hiesigen Sein steht. Wie ich in Gedanken mehr mir selbst zuflüstere „hab keine Angst Fuchs, spring nicht davon Reh“ und beide es doch tun, sodann einen Augenblick verharren, die Ohren angesetzt, die Luft prüfend. Wie ich für diese Tiere wohl riechen mag? Ein sachter Schritt zur Seite, angespannt, bereit zum Rückzug, zum Satz in die rettende Dunkelheit. Alarmiert durch meine Präsenz. Ich kann sie weder besänftigen noch ihrer Natur entgegenwirken. Gewissermassen bin ich hier draussen der Verletzliche, wenn es um das nackte Überleben geht! Kenne ich doch weder Höhleneingang, noch dichtes, schützendes Geäst, kann weder in die Weite riechen noch hören, noch geschwind laufen, noch trage ich Pelz und werde hungern. So aber wendet sich Fuchs ab, entspringt Reh diesem kurzweiligen Akt. Ich bleibe zurück, ruhe meinen Atem, stehe still, hoffe leise, dass sie wiederkehren mögen, sich zu mir gesellen, meine Spuren mit den ihren zieren, von den Abenteuern im Wald erzählen und unsere Seelen im Takt miteinander die Welt durchstreifen. Aber zuverlässig ist bloss die Nacht. Ich schreite voran, ziehe vorbei an Gebüsch, schlendere unwissend über den Bau, finde Trost im Gedanken, dass ich manches nicht sehen kann, aber weiss.
Dort unten kann ich die Stadt ausmachen. Meinen Blick lasse ich auf- und abstreifen, vielleicht ähnlich dem Fuchs; soll ich bleiben oder soll ich gehen? Der Schnee friert mich nicht, der Wind schont mich im Beisein des Künstlers, der dieses Bild zu malen scheint, und ich mittendrin. Er setzt einen Rahmen, schwarz, Holz, kantig, weich. Über die Tapete ziehen Hügel, gleiten ineinander, knüpfen Bäche und Bäume aneinander, grob wirken die Strassen im Gegensatz. Das sich ausbreitende Netz mit den scheinenden Werfern, den rückenden Blendern, dem Weiss und Rot, vorbeiziehende Köpfe im künstlichen Licht auf der Fahrt heim zu Frau und Kind, virtuell summt das Geld, die Beförderung. Welche Sendung sie heut Abend wohl schauen werden? Im Kleid der Dunkelheit verabschiede ich mich vom See und den Feldern, was bleibt sind die vielen Leuchten, der Schein, Strassenlaterne, Reihenhaus, Stadion, Einkaufscenter, Eisenbahn…
Lustig, spielst du mir heute einen Streich, du Obrigkeit, Könner, Schaffer, Schöpfer? Ziehst durch dieses Bild zwei dicke Streifen. Einen nennen wir Nacht, hüllst ihn in Schatten, heute dichten Nebel. Aber keine Sorge, sie haben ja ausreichend Licht da unten. Und darüber – dieses Blau, das weder Nacht noch Tag ist. Ich hätte es nicht vermutet, wenn ich es nicht selbst sehen würde. Häufig bin ich doch Nacht, bin ich doch Stadt, irgendwo da unten, ahnungslos, dass es ein Darüber gibt. Und genau jenes sehe und erlebe ich jetzt. Du hast den Mond hoch gehängt, bloss ein fein geschnittenes Stück seiner Rinde gelassen, ihm einen Stern an die Seite gelegt und ihn so geneigt, dass ich ihn auf meiner Fingerkuppe balancieren könnte. Was ist das für ein Bild? Und warum drängst du mich, mich zu entscheiden? Oder kennst du mich überdies hinaus, ferner als ich mich selbst?
Ich lasse mich weitermalen, schöpfe Vertrauen, nicht aus Gedanken, Gefühlen oder meinem Körper, einzig aus einem hellen Streifen, der schon immer war und immer sein wird.